Von der landwirtschaftlichen Vielfalt Schleswig-Holsteins konnten sich internationale Agrarjournalisten Mitte Mai überzeugen. Neben der Lebensmittelproduktion standen dabei auch alternative Betriebszweige, vor- und nachgelagerte Bereiche und Naturschutz im Fokus. Kollegin Corinna Gruber berichtet.
Von Frühaufstehern und Feinschmeckern: der Hamburger Großmarkt
Wer Hamburg wirklich verstehen will, muss früh aufstehen. Um 5:30 Uhr beginnt der Tag auf dem Hamburger Großmarkt – und damit auch für uns Agrarjournalistinnen und -journalisten. Zwischen 1,5 Millionen Tonnen Obst, Gemüse und Blumen pulsiert das wirtschaftliche Herz der Hansestadt. Über 300 Marktfirmen sorgen für eine beeindruckende Frischelogistik – direkt vom Erzeuger bis in den Supermarkt oder das Restaurant. Der Großmarkt, 1962 eingeweiht und mit seinen 27,3 Hektar einer der größten Europas, ist ein Ort voller Gegensätze: Denkmalschutz trifft auf Elektroladesäulen, palettenweise Importware trifft auf regionale Produkte. Auch wenn der Zutritt nur mit Gewerbeschein möglich ist, lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen – nicht zuletzt, weil hier selbst Überschussware sinnvoll weiterverwendet wird, etwa für die Hamburger Tafel oder Biogasanlagen.
Hobenköök & Elbgold: Regionalität mit urbanem Anspruch
Nach dem Morgentrubel am Großmarkt geht es zu Fuß weiter zur Hobenköök – einer Markthalle im alten Bahnhof, wo sich regionale Produzentinnen und Produzenten zusammentun. Hier ist alles saisonal, lokal und nachhaltig. Frühstücken mit gutem Gewissen – und norddeutschen Charme.
In der Rösterei Elbgold wird uns bei einem exklusiven Tasting klar: Kaffee ist mehr als ein Getränk – es ist ein Handwerk, geprägt von Direktimporten aus Lateinamerika, kleinen Produzenten-Kooperativen und fairen Preisen. Spezialitätenkaffee mit mindestens 80 Punkten auf der Bewertungsskala ist das Ziel, und Elbgold zahlt dafür nicht nur faire Preise, sondern pflegt intensive Beziehungen zu den Anbauländern.
Eggers Gemüsehof: Tomaten unter Glas – nachhaltig und präzise
Am südlichen Stadtrand Hamburgs besuchen wir den Gemüsehof von Arne Eggers. Tomaten von Jänner bis November, 14 Sorten auf fünf Hektar – das ist Präzisionslandwirtschaft pur. Die Gewächshäuser sind CO₂-neutral, beheizt mit zugekauftem Biogas. 70 % der Ernte gehen an Rewe Nord, gepflückt von einem festen Team. Trotz hoher Strom- und Lohnkosten von bis zu 25.000 Euro im Monat schafft es der Betrieb, mit dem Ausland zu konkurrieren. Der Grund sind fixe Langzeitverträge und stabile Preise – ein Beispiel, wie regionale Versorgung auch wirtschaftlich machbar ist.
Milchhof Reitbrook: Transparenz in der Milchwirtschaft
Mitten im Elbe-Urstromtal liegt der Milchhof Reitbrook, ein Betrieb mit 150 melkenden Kühen, Hofmolkerei und eigenem Milch- und Milchprodukte-Lieferservice. Rund 1.500 Haushalte, Cafés und Schulen werden regelmäßig mit Vorzugsmilch, Joghurt und Käse versorgt. Besonders beeindruckend der persönliche Kontakt zu den Verbrauchern über „Fairbrauchertouren“, bei denen Stadtbewohner:innen Landwirtschaft live erleben können. Die neue Melkautomatisierung, geplant für 2025, soll Effizienz und Tiergesundheit noch weiter verbessern. Ebenso dürfen die Kühe nachtsüber auf die Weide umso genügend Auslauf und Grünfläche zu bekommen.
Westhof – Biogemüse mit System
In Dithmarschen, wo der Wind über weite Felder streicht, empfängt uns Rainer Carstens auf dem Westhof – einem der größten zusammenhängenden Bio-Gemüseanbaugebiete Europas. Was 1978 mit 60 Hektar konventionellem Ackerbau begann, ist heute ein hochspezialisierter Bio-Betrieb mit 1.200 Hektar Fläche, Demeter-Zertifizierung, eigener Biogasanlage und einem hochmodernen System zur Qualitätssicherung und Produktion. Tiefkühlgemüse für Aldi, Rewe und Edeka, dazu frisches Gemüse ausschließlich für den deutschen Markt – „regional“ und „großmaßstäblich“ schließen sich hier nicht aus. Bemerkenswert ist auch die eigene Werkstatt für Landmaschinen, die Mitarbeiterunterkünfte und die frühe Investition in KI-gestützte Produktionsprozesse. So geht Zukunft – mit Wurzeln in der Region.
Hallig Nordstrandischmoor – Leben auf der Warft
Tags darauf führt uns die Lore durchs Watt – hin zur Hallig Nordstrandischmoor. Nur 17 Menschen leben hier, umgeben vom Meer, das zweimal täglich kommt und geht. Landwirtschaft ist hier kein Beruf, sondern Lebensform. Nebenerwerbslandwirt Nommen Kruse hält rund 67 Schafe auf 60 Hektar – keine große Zahl, aber ein entscheidender Beitrag zum Küstenschutz. Denn das beweidete Grünland stabilisiert den Deich, schützt vor Sturmfluten und fördert Biodiversität. Mähen ist erst ab Juli erlaubt – zum Schutz brütender Vögel. Einige Lämmer werden im Frühjahr geschlachtet, der Rest bleibt auf der Hallig. Der Küstenschutz – Buhnen, Warften, künstliche Riffe – ist integraler Bestandteil des Halliglebens. Diese besondere Form der Landwirtschaft zeigt, wie eng Ökologie, Tradition und Daseinsvorsorge miteinander verwoben sind.
Wind für alle: Bürgerwindpark Emmelsbüll-Horsbüll
Am Nachmittag dann Kontrastprogramm: der Bürgerwindpark im nördlichsten Zipfel Schleswig-Holsteins. 12 Windräder, über 1.100 beteiligte Bürger:innen, ein Investitionsvolumen von 51 Millionen Euro – und eine Idee, die Schule macht. Die Energiewende ist hier nicht von oben verordnet, sondern von unten getragen. Der Strom reicht für rund 42.000 Haushalte – das Klima profitiert, die Region auch: Gewerbesteuern fließen zurück in die Gemeinde, die Akzeptanz ist hoch. Landwirtschaftliche Flächen profitieren zudem durch Pachtverträge – eine Win-Win-Situation für verschiedene Stakeholder in dieser Region.
Gut Damp – Konventionell, aber mit Verantwortung
Am letzten Tag unserer Reise führte uns der Weg an die Ostseeküste – zum Gutsbetrieb Damp. Eigentümer Alexander Graf zu Reventlow bewirtschaftet mit seinem Team rund 600 Hektar Ackerfläche, davon 500 Hektar in Eigenbesitz. Gerste, Raps und Zuckerrüben bilden die Hauptkulturen. Was auf den ersten Blick wie ein traditioneller, konventionell geführter Großbetrieb wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als moderner Agrarbetrieb mit klarem Verantwortungsbewusstsein gegenüber Umwelt und Gesellschaft.
Doch was Gut Damp besonders macht, ist der integrierte landwirtschaftliche Schulzweig. In enger Kooperation mit Bildungseinrichtungen der Region werden hier zwei Auszubildende in der Landwirtschaft ausgebildet, unterstützt von einem erfahrenen Betriebsleiter und einem Landmaschinenmechaniker. Der Hof ist somit nicht nur Produktionsstätte, sondern auch Lernort – eine Art „grünes Klassenzimmer“, in dem Theorie und Praxis Hand in Hand gehen.
Die Auszubildenden erleben hier einen realitätsnahen Alltag: vom Pflanzen und Düngen über moderne Maschinenpflege bis hin zur Ernte und Lagerung. In Zeiten des Fachkräftemangels in der Landwirtschaft ist dieses Engagement ein wichtiger Beitrag zur Nachwuchsförderung – und ein starkes Zeichen dafür, wie Bildung auf dem Land erfolgreich funktionieren kann.
Gut Damp beweist, dass auch konventionelle Landwirtschaft zukunftsfähig sein kann – wenn sie transparent, verantwortungsvoll und bildungsorientiert betrieben wird. Der Blick über die Ostsee wirkt dabei fast wie ein Symbol: offen, weitsichtig, aber fest verwurzelt im eigenen Boden.
Abschließende Worte zur Agrarjournalisten Reise des ENAJ und der Schweizeragrarjournalisten
Hamburg zeigt eindrucksvoll, wie moderne Stadt-Land-Verbindungen funktionieren können. Ob im denkmalgeschützten Großmarkt oder im Hightech-Gewächshaus – Landwirtschaft ist hier kein nostalgisches Relikt, sondern Teil einer lebendigen, innovativen Stadtkultur. Der Pressetrip bot nicht nur Einblicke in Produktionsabläufe, sondern auch in Visionen: für mehr Transparenz, Nachhaltigkeit und Dialog zwischen Bäuerinnen, Bauern und Bürgern.
Auch die zweite Hälfte unserer Reise legte spannende Eindrücke dar: Landwirtschaft in Norddeutschland ist so vielfältig wie die Landschaft selbst. Vom Gewächshaus bis zur Halligweide, vom urbanen Hofcafé bis zur Küstenwindkraft – überall begegneten uns Menschen, die mit Know-how, Innovationsgeist und Herzblut ihren Beitrag leisten. Zwischen Stadt und Land entstehen neue Verbindungen – und genau darin liegt die Chance für eine zukunftsfähige Landwirtschaft: im offenen Dialog.
Fotos: Corinna Gruber