Österreich ist nach wie vor Europameister im Versiegeln von Böden. Nun haben Dr. Kurt Weinberger, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung, und Mag. Simon Tschannett, Meteorologe, Stadtklimatologe und Geschäftsführer Weatherpark GmbH. Alarm geschlagen: Sie sehen die natürliche Klimaanlage „Boden“ in Gefahr und verlangen neues Denken und Handeln in der Raumplanung.
Weinberger: Ziel bei Bodenverbrauch weit verfehlt
Täglich werden in Österreich 11,5 Hektar wertvolle Äcker und Wiesen (umgerechnet rund 16 Fußballfelder) durch Verbauung zerstört, obwohl die damalige Bundesregierung bereits vor zwanzig Jahren in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie als Zielwert des täglichen Bodenverbrauchs 2,5 Hektar pro Tag festgelegt hat. Weinberger: „Das Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie wurde klar verfehlt.“ Weiterführende Informationen hier Österreichische Strategie Nachhaltige Entwicklung und hier Arbeitsprogramm 2011 und hier Fortschrittsbericht 2011.
Die Folgen:
- Zubetonierter Boden kann kein Wasser speichern, der Grundwasserspiegel sinkt dadurch, den Seen geht das Wasser aus, wobei der Osten Österreichs, etwa der Neusiedler See, besonders betroffen ist.
- Zubetonierter Boden kann keinen Kohlenstoff speichern, die Temperaturen in den Städten steigen massiv. Während es in den 80/90iger Jahren nur sechs Hitzetage pro Jahr gab (Tage mit über 30 Grad Celsius), sind es mittlerweile im Durchschnitt 20 solcher Tage pro Jahr (2022 bis 22. Juli: 25 Hitzetage).
- Zubetonierter Boden führt zum Verlust der Selbstversorgung bei Lebensmitteln. Bereits heute ist Österreich bei der Eigenversorgung verletzbar.
- Zubetonierter Boden führt zu massivem Verlust der Biodiversität.
- Zubetonierter Boden ist kein Erholungsraum und hat negative Auswirkungen auf den Tourismus.
Tschannett: Stadtplanung muss umdenken
„Zubetonierte Innenstädte haben zur Folge, dass sich diese immer weiter aufheizen. Versiegelte Flächen können Temperaturen bis zu 50 Grad erreichen, dunkel asphaltierte Flächen sogar bis zu 70 Grad. Aktuell sind unsere Städte nicht für den Klimawandel gerüstet. Grünflächen, wie Felder, wurden durch Verbauung zerstört. Daher ist es unbedingt nötig, in der Stadtplanung mehr Rücksicht auf Hitzewellen zu nehmen und mit dem jeweils passenden Mix aus Maßnahmen unsere Städte ans neue, heißere Klima anzupassen“, so Tschannett, der sich für mehr Naturraum in und um Städten ausspricht.
Seine Vision, wie Städte und Gemeinden klimafit werden können, ist hier zu finden.
Maßnahmen für die Stadt:
- Im Umland von Städten produzieren Wälder, Äcker und Wiesen Kaltluft, die bis in die Innenstädte hineinwirkt. Diese Äcker und Wiesen müssen sofort vor Verbauung geschützt werden.
- Städte brauchen mehr Naturraum, will man der Hitze etwas entgegensetzen. In der Stadtplanung müssen sowohl beim Bestand als auch beim Neubau große begrünte Flächen mitgedacht werden, weil dort lokal Kaltluft für Abkühlung sorgt.
- In Städten ist die Oberflächentemperatur bei begrünten Flächen, die auch genügend Wasser zur Verfügung haben, viel geringer, oftmals sogar so gering wie die Lufttemperatur.
- Im Schatten eines Baumes wirkt die Verdunstungskälte. Somit ist in unversiegelten, begrünten Bereichen die Hitze viel besser auszuhalten.
Maßnahmen für Österreich:
Um das 2,5-Hektar-Ziel zu erreichen, um damit die Schönheit Österreichs zu bewahren, das Klima und die Umwelt zu schützen, die Biodiversität aufrechtzuerhalten, die Lebensmittelversorgung sicherzustellen und den Wirtschaftsstandort zu stärken, braucht es ein Umfassendes Maßnahmenbündel für weniger Bodenverbrauch:
- Laut Umweltbundesamt gibt es in Österreich 40.000 Hektar leerstehende Gewerbe-, Industrie- und Wohnimmobilien (das entspricht der Fläche der Stadt Wien). Eine Revitalisierung dieser Brachflächen ist finanziell aufwendiger als ein Neubau auf der grünen Wiese. Daher braucht es monetäre Anreizsysteme für eine Revitalisierungsoffensive leerstehender Immobilien.
- Innenentwicklung vor Außenentwicklung: Baulandausweisungen sollen nur noch dann genehmigt werden, wenn die betreffende Gemeinde nachweisen kann, dass keine angemessenen Innenentwicklungspotentiale verfügbar sind.
- Schutz besonders wertvoller Flächen (landwirtschaftlicher Vorrangflächen) wie in der Schweiz, wo die produktivsten Landwirtschaftsböden für die Ernährungssicherung der Bevölkerung gesetzlich vor Verbauung geschützt sind Bodenstrategie Schweiz 2020 .
- Vermehrtes Bauen in die Höhe und in die Tiefe.
- Ausbau des öffentlichen Verkehrs, da dieser in Summe weniger Fläche in Anspruch nimmt.
Weiterführende Informationen hier Folder Boden Hagelversicherung und hier Umwelterklärung Hagelversicherung.
Fotos: Hagelversicherung