Das langjährige VAÖ-Mitglied Chefredakteur Gottfried Leitner verstarb am 3. Oktober 2022 im 101. Lebensjahr. Leitner leitete unter anderem viele Jahre das Medium des Ordre des Coteaux de Champagne Österreich. Seine bewegte persönliche Geschichte, er war Widerstandskämpfer in der NS-Zeit, beschrieben das VAÖ-Mitglied Mark Perry (Kronenzeitung), von dessen Kollegen Imre Antal die Fotos von Leitner stammen) und Redakteur Stefan Hauser (Kirchenzeitung Der Sonntag).

Leitners Champagner-Verbindungen
Im Jahre 1982 ermunterten die beiden Holländer Dolf Regoor, Ambassadeur des Ordre des Coteaux de Champagne in Holland, und Alexander Marinus In’t Veld, langjähriger Direktor des Hotels Astoria in Wien, den aus Bad Goisern stammenden Journalisten in Wien, Gottfried L. Leitner, sich für eine Gründung des Ordre des Coteaux de Champagne in Österreich zur Verfügung zu stellen. Das Gründungs-Chapitre fand dann am 8. April 1983 in Wien statt, 19 weitere Chapitres folgten. Die Zahl der Mitglieder blieb lange Jahre nach der Aufbauarbeit von Generalkonsul Gottfried Leitner bei etwa 140 Personen stabil. Mittlerweile verzeichnet der österreichische Orden über 250 Mitglieder. Im Juni 2003 übergab Gottfried Leitner die Leitung des Consulat Général an einen Nachfolger.

 

 

Hier der Text von Mark Perry:

Mutmacher und Mahner; Gottfried Leitner: Wiener Kämpferherz steht still
Er war Widerstandskämpfer, verhinderte einen Brand im Stephansdom und machte Menschen Mut – Gottfried Leitner starb nun mit 100 Jahren.

Zeit seines Lebens versuchte die gute Seele Leitner, das Herz für alles Wahre, Gute und Schöne zu erwärmen. Was der jetzt in seiner Wohnung am Graben verstorbene Wiener erleben und mitmachen musste, ist wertvolle Zeitgeschichte und mehr. Was Leitner auszeichnete: Aufrichtigkeit, Empathie und Mut.

„Entkam Schergen im letzten Moment“
Letzteren bewies der bis zuletzt geistig rege Widerstandskämpfer und spätere Journalist, als er in der Pogromnacht des Jahres 1938 aus der brennenden Synagoge in Linz Thorarollen rettete. Dass das von den Nazis verhängte Todesurteil nicht vollstreckt wurde, verdankt er der Fügung des Schicksals. Denn der Transport ins Konzentrationslager Mauthausen wurde von alliierten Bombern angegriffen. „Ich entkam meinen Schergen im letzten Moment“, so Leitner im „Krone“-Interview während der Pandemie.

Mutmacher in schwierigen Zeiten
Mit Zuversicht hatte er den Menschen Mut gemacht: „Wir werden mit erfüllter Stärke und Weisheit auch Corona überstehen.“ So wie viele war Leitner in der Krise einsam geworden. Die Zuversicht verlor die Legende – wie treu verbundene Wegbegleiter versichern – tatsächlich bis zu seinem Tod vor wenigen Tagen aber nie.

 

 

Und hier der Text von Stefan Hauser aus Wien & NÖ-Ost (Der SONNTAG), 26. April 2021:

Herr Leitner hat alle überlebt
Gottfried Ludwig Leitner war Zeit seines Lebens im Widerstand tätig. In Linz rettet er in der Pogromnacht 1938 Thorarollen aus der brennenden Synagoge. Von den Nazis wird der gebürtige Oberösterreicher zum Tode verurteilt. Der Transport nach Mauthausen wird von den Allierten beschossen, er überlebt. Zu Kriegsende holt er aus dem brennenden Stephansdom Benzinkanister heraus.

Seine Lebensgeschichte würde Bücher füllen. Heute hat der 99-jährige Gottfried Ludwig Leitner mit den Problemen des Älterwerdens zu kämpfen. Er verlässt seine Wohnung in Wiens Innenstadt kaum mehr. Hellwach sind aber die Erinnerungen an sein erlebtes Jahrhundert.

„Mia hengan di auf“
Am 2. März 1922 erblickt Leitner im oberösterreichischen Bad Goisern das Licht der Welt. Sein Vater Gottfried ist Tischlermeister und Mesner, die Mutter Luise Hausfrau. Gottfried hat einen sechs Jahre jüngeren Bruder namens Josef und eine Schwester Christine, sie ist elf Jahre jünger. „Bald hieß es mithelfen, Holz zu schlichten für die Tischlerei.“ Gemacht hat er es nicht gerne: „Ich habe lieber die Schuhe geputzt und das Haus ausgerieben.“ Er hat Spielgefährten aus jüdischen Familien, die auf Sommerfrische nach Bad Goisern kommen.

Prägend für ihn sollte dann als 12-Jähriger die Nacht vom 25. auf den 26. Juli 1934 werden, als nach der Ermordung von Kanzler Dollfuß „gegen 22 Uhr plötzlich vielstimmiger Lärm vor dem Elternhaus zu hören war“, so Leitner. Gewehrsalven folgen, ein Schuss lässt das Mansardenfenster in die Brüche gehen.

Draußen schreien Leute: „Leitner kum aussa, mia hengan di auf!“ Örtliche Nationalsozialisten wollen seinen Vater, einen Monarchisten, lynchen. „Sie haben das ganze Haus durchsucht, ihn aber nicht gefunden. Er versteckte sich am Dachboden im nur einen Meter hohen Firstboden, davor stand die Weihnachtskrippe, dahinter haben sie nicht gesucht.“ Am Tag darauf rückt die Heimwehr aus dem Ausseer Land an und verhaftet einige dieser pöbelnden Nationalsozialisten in Bad Goisern.

Rettung von zwei Thorarollen
Beim Einmarsch der deutschen Truppen 1938 lebt Gottfried Ludwig Leitner in Linz, er besucht hier die Handelsschule, denn die Handelsakademie wurde ihm verboten, weil ich gegen die Nationalsozialisten war. „Wir riefen beim Einmarsch am 12. März, Rot-weiß-rot bis in den Tod, wir wurden verhaftet.“

Am 9. November wird er Zeitzeuge der Pogromnacht. Ich war Monarchist und hatte Freunde bei der illegalen schwarz- gelben Aktion, wir sind zufällig gemeinsam in der Nähe der Bethlehemstraße gesessen, auf einmal heißt es: „Die Synagoge brennt!“. Die Feuerwehr ist zwar vor Ort, wird aber von der Polizei am Eingreifen gehindert.

Leitner kennt einen Hintereingang und dringt mit seinen Freunden in den Tempelraum ein. „Wir konnten noch zwei Thora-Rollen aus dem brennenden Schrein retten“. Diese bringen sie zu den nahegelegenen Ursulinen. Tage später übergeben sie diese jüdischen Freunden, die in die damalige Tschechoslowakei flüchten.

Wehrunfähigkeit durch Granatsplitter
1939 beginnt Leitner nach der Handelsschule bei Siemens zu arbeiten. Später ist er dann Buchhalter und Materialverwalter in den „Hermann Göring-Werken“. Kriegsbedingt erhält er 1941 seine Einberufung zum Reichsarbeitsdienst in Allendorf im deutschen Hessen.

Bei einer Verlegung der Truppe nach Frankreich wird er durch Granatsplitter am rechten Bein schwer verletzt. Wehr¬unfähig geht es zur Umschulung nach Niederrödern in Sachsen. Von dort geht es für Leitner weiter nach Dresden zum Gaustab, „dort war ich aufgrund meiner Erfahrung im Wareneinkauf tätig“. Leitner kümmert sich um die Lebensmittelvorräte und kann so seine Mitarbeiter mit mehr Zuteilungen als vorgesehen unterstützen.

Folterungen am Morzinplatz
Ende 1941 geht es aufgrund seiner Fußverletzung für Gottfried Ludwig Leitner nach Wien und er wohnt bei einem Freund am Graben. Er verantwortet die Buchhaltung eines großen Betriebes, in dem blinde Menschen arbeiten. Fußmatten und Überstiefel für die Wehrmacht werden hier erzeugt. In dieser Funktion ist er oft in Oberschlesien und kommt dort mit polnischen Untergrundkämpfern in Kontakt. „Ich wurde Verbindungsmann zwischen dem Untergrund und österreichischen Widerstandsgruppen.“

Im Frühjahr 1943 wird Leitner verhaftet und im Gestapo-Hauptquartier am Mozinplatz gefoltert. „Man wollte Informationen aus dem Widerstand aus mir herauspressen, da man meine Aktivitäten kannte.“ Leitner übersteht unsägliche Folterungen wie das „tagelange Einsperren in einer nur ein Quadratmeter großen fensterlosen Zelle, in der alle zwei Minuten eine 10.000 Watt starke Lampe aufblitzte“. Leitner verliert danach für einige Wochen das Augenlicht. Er wird entlassen, für wehrunwürdig erklärt, aber „sie haben mich bespitzelt, weil ich ja nichts gesagt habe“.

Dreimal zum Tod verurteilt
Am 6. Jänner 1945 wird der inzwischen 22-jährige Gottfried Ludwig Leitner wieder verhaftet. „Man eröffnete mir, dass ich vom Volksgerichtshof in Berlin wegen Hoch- und Landesverrats, Wehrkraftzersetzung und Philosemitismus dreimal zum Tod verurteilt worden bin.“

Am 17. Februar 1945 erfolgt sein Transport ins KZ Mauthausen. „Der Zug wurde aber von amerikanischen Flugzeugen bombardiert und beschossen. Es gab rund 400 Tote.“ Leitner kommt mit dem Leben davon und wieder zurück nach Wien ins Polizeigefängnis in der Rossau.

Am 6. April 1945 öffnen sich für ihn die Gefängnistore. Leitner geht durch das zerstörte Wien zurück zu seiner Wohnung in der Innenstadt. Dort lebt er im Keller gemeinsam mit der ganzen Hausgemeinschaft, immer in Sorge vor möglichen Angriffen. „Dort habe ich meine spätere Frau Brunhilde, eine Sängerin, kennengelernt“, erzählt er. Russen kommen hinunter in den Keller und holen die Männer zum Arbeiten: „Wir mussten zum Beispiel Cognacflaschen vom Meinl auspacken, sie waren nur am Alkohol interessiert.“

Gefährliche Treibstoffkanister im Wiener Stephansdom
In der Nacht auf den 12. April geht der Wiener Stephansdom in Flammen auf. Leitner, der in der Nähe lebt, macht sich da gerade zu seinem Arbeitseinsatz auf den Weg. „Die Russen räumten am Stephansplatz gerade die Meinl-Filiale im Curhaus weiter aus, ich war erstaunt, was sie da hatten: Weine, Spirituosen und Lebensmittel.“

Leitner nützt diese Gelegenheit und geht an der Curhausseite in den brennenden Stephansdom. „Da bemerkte ich beim Riesentor hinten einen riesigen schwarzen Vorhang, den ich vorher nie gesehen hatte.“ Obwohl brennende Teile von der Decke fallen, läuft Leitner dorthin: „Hinter dem Vorhang waren Treibstoffkanister, ich bin sofort zu den Russen gelaufen, um ihnen von meinem Fund zu berichten“. Diese reagieren sofort, „es war für sie ja eine wertvolle Beute“. So werden die Kanister aus dem Dom entfernt und Leitner und die Russen verhindern wohl noch Schlimmeres.

Nach dem Krieg wird Leitner Journalist und arbeitet später in einem technischen Verlag. Er macht sich als Verleger selbstständig und wird Chefkorrespondent einer Schweizer Agentur.

Heute (Anmerkung: April 2021) ist er Witwer, 99 Jahre alt. Er sagt: „Die Zeit des Nationalsozialismus und seiner grauenhaften Auswirkungen darf nicht in Vergessenheit geraten! Wehret den Anfängen!“

 

Fotos: Imre Antal, Kronenzeitung