Das europäische Netzwerk der Agrarjournalisten ENAJ hielt seine jüngste Tagung, an der auch die VAÖ-Spitze teilnahm (siehe hier), in Venedig ab.

Mit dabei war die AIZ-Redakteurin, VAÖ-Mitglied Dr. Karin Huber. Hier ihr Bericht über die Entwicklung der Landwirtschaft in der Lagunenstadt:

 

 

Klimawandel in Venedig: Der Salzgehalt im Boden steigt
Eine frische Meeresbrise mit zartem Duft nach Salz macht Gemüse und Wein auf den Inseln der Adria-Lagune rund um Venedig zu etwas Besonderem. Auch wenn einem beim Gedanken an Venedig nicht unbedingt die Landwirtschaft als erstes in den Sinn kommt, gibt es unweit von Canal Grande, Markusdom und Dogenpalast eine kleine feine Küstenlandwirtschaft mit regionaler Gemüseproduktion, von der auch die Venezianer schwärmen. 2022 war in Venedig ein besonders trockenes Jahr, das die Landwirte und Winzer auch dort vor große Herausforderungen stellte. Aber es ist nicht nur die Dürre, die den Bauern zu schaffen macht: Besonders heikel ist der steigende Salzgehalt, der mit der Trockenheit in den oberen Bodenschichten pflanzenunverträgliche Ausmaße annimmt.

 

 

Wein und Gemüse aus der Lagune von Venedig.
Winzer Matteo Bisol bangte heuer um seine Ernte auf der Insel Mazzorbo, rund 20 Minuten mit dem Wassertaxi von Venedig entfernt. Durch die Trockenheit und den steigenden Salzgehalt im Boden haben die Rebstöcke bereits im Juli die Blätter abgeworfen. Die Ernte der qualitativ hochwertigen Weinlinie „Venissa“, bei der besonders auf eine für die Natur umsichtige Produktion Wert gelegt wird, fiel heuer dementsprechend klein aus. Auch von „Venusa“, der anderen und in der Qualität eine Stufe unter „Venissa“ liegenden Vermarktungsschiene, konnte deutlich weniger als in einem Durchschnittsjahr produziert werden. „Wir haben es hier mit einer ‚Borderline-Umwelt‘ zu tun“, sagt Matteo, der eine flächendeckende und alle Wurzeln versorgende Bewässerung anstatt nur im Unterstockbereich überlegt.

 

 

Die Vermarktung der üblicherweise rund 2.000 Weinflaschen je Linie ist exquisit. Die Weine aus der seltenen einheimischen Rebsorte Venedigs „Dorona“, die nach der Flutkatastrophe von 1966 fast verschwunden war, werden in den gehobenen Restaurants der familieneigenen Hotels hochpreisig vermarktet (0,5l „Venissa“ weiß, Jahrgang 2017, kosten 160 Euro). Das Etikett für „Venissa“ wird etwa aus Blattgold künstlerisch für jeden Jahrgang neu gestaltet.

 

 

Null-Kilometer-Gemüse
Qualität steht auch im Fokus auf der östlich von Mazzorbo zwischen Venedig und Jesolo liegenden fruchtbaren Halbinsel Cavallino-Treporti. Die Region ist bekannt für seine Verace- und Nasone-Tomaten. Aber auch andere Sorten in den verschiedensten Farben und Formen werden angebaut. Dazu kommen Paprika, Gurken, Melanzani, Zucchini, alle möglichen Salatsorten, Radieschen, Erdäpfel usw.

„Es gibt drei Dinge, die Cavallino-Gemüse zu besonderen Produkten machen. Erstens der Boden, zweitens das Klima und drittens der Mensch“, verweist Raffaele Scarpa von der Genossenschaft „Bibione Cavallino“ auf lokale „0 km-Produkte“, die von den Konsumenten verstärkt nachgefragt werden. Die Konsumenten geben der Produktqualität zunehmend den Vorrang vor der Quantität, und dies gilt insbesondere für den Obst- und Gemüsesektor. Diese Entwicklungen haben zusammen mit anderen Faktoren zu Änderungen in der Produktion durch die Cavallino-Bauern geführt, die seit einiger Zeit einen integrierten Pflanzenschutz implementieren. Nach neuesten Daten beläuft sich die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche in der Provinz Venedig auf etwa 111.000 ha – mit abnehmender Tendenz – und macht etwa 13,7% der regionalen Fläche aus.

Das Gemüse von „Bibione Cavallino“ wird in ganz Norditalien, einschließlich der Region Emilia-Romagna, vertrieben. Einerseits über Großmärkte, wo sie wiederum von einer Vielzahl von Lebensmittelgeschäften sowie Gastronomen gekauft werden, und andererseits über Direktvermarktung Ab-Hof, lokale Händler oder über die Genossenschaft selbst.

 

 

Die violette Artischocke von Sant’Erasmo
Um Qualität geht es auch bei der Artischocke von Sant’Erasmo, einer speziellen Sorte Artischocken, die sich durch ihre violette Farbe auszeichnet. Quereinsteiger Savino Cimarosto bewirtschaftet seit 2016 etwa 5 ha Land auf der Laguneninsel Sant’Erasmo nördlich von Venedig in biologischer Wirtschaftsweise. Auf der einzigen Bio-Farm der Insel kultiviert er gemeinsam mit seiner Frau neben der violetten Artischocke, die unter der eingetragenen Marke „Castraura“ geschützt ist, „alle Arten von Gemüse“, wie er sagt. Ein bodenschonender, wassersparender Umgang ist ihm besonders wichtig. Denn auch er klagt über den fehlenden Niederschlag und den gleichzeitig erhöhten Salzgehalt im Boden. „Wir hatten vergangenen Winter auf Sant’Erasmo nur am 6. Jänner einen einzigen Regentag“, sagt Savino. Zum Teil betreibt er auf den Flächen Agroforst und bemüht sich um eine dauerhafte Bedeckung des Bodens, auch wenn er für kurze Zeit einmal nicht bestellt ist. So soll der Boden vor direkter Sonneneinstrahlung und Austrocknung geschützt und in Balance gehalten werden. Seine Produkte verkauft er überwiegend in seinem eigenen Bio-Gemüseshop in guter Lage in Venedig.

Mittlerweile ist die violette Artischocke, die üblicherweise von Ende April bis Ende Mai geerntet wird, auf den lokalen Märkten für ihren leicht bitteren, aber köstlichen Geschmack berühmt. „Es ist eine der landesweit am meisten ‚kopierten‘ Kulturen geworden, weshalb wir die Sorte mit der eingetragenen Marke ‚Castraura‘ im Jahr 2004 schützen mussten“, erklärt Carlo Finotello, Präsident des Konsortiums für die violette Artischocke. Die Anbaugebiete für die Produktion von „Castraura“ wurden präzise anhand von historischen Daten, die bis ins Jahr 1872 zurückgehen, für die Inseln Sant’Erasmo, Vignole, Lio Piccolo und Mazzorbo festgelegt. Ebenfalls im Jahr 2004 wurde die violette Artischocke als eines der ersten Lebensmittel von Venedig als slow food anerkannt.

 

 

Landwirtschaft verändert sich
Darüber hinaus werden auf den Inseln der Lagune von Venedig auch Meeresfrüchte wie Muscheln und Fisch sowie in kleinem Ausmaß Getreide und Fleisch erzeugt. Funktionäre der Laguneninseln setzen zudem auf eine verstärkte Kooperation von Landwirtschaft und Tourismus, zu der etwa auch das „agri-camping“ (Unterkunft im Freien) zählt. „Der bäuerliche Betrieb ist nicht nur Basis für die Produktion hochwertiger Lebensmittel, sondern auch für Dienstleistungen wie etwa Verpflegung und Unterkunft, die Organisation von Ausflügen und Exkursionen, aber auch für soziale Dienste beispielsweise über Bildung- und Sozialbauernhöfen“, sagt Roberto Scarpa von der Azienda Agricola Scarpa Roberto. „Die Landwirtschaft verändert sich, entwickelt sich weiter und erschließt neue Chancen, die auch Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven bieten und nicht verloren gehen dürfen“, ist Roberto zuversichtlich.

Denn besonders in der Gegend von Cavallino Treporti hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren die Zahl der bäuerlichen Höfe von ursprünglich 500 auf 200 aktive landwirtschaftliche Betriebe verringert. Die meisten von ihnen haben sich mit einer bescheidenen durchschnittlichen Fläche von 2 bis 3 ha nun auf die Gemüseproduktion spezialisiert. Die Farmen werden entweder mit familieneigenen oder mit Lohn-Arbeitskräften betrieben. Tatsächlich beschäftigen heute viele landwirtschaftliche Betriebe Fremdarbeitskräfte saisonal oder auf Teilzeitbasis. Die meisten Bäuerinnen und Bauern auf den Inseln der Lagune von Venedig sind über 60 Jahre alt (etwa 45%), während etwas mehr als 20% zwischen 50 und 60 Jahre und nur 5% unter 30 Jahre alt sind.

 

Fotos: ENAJ Italy, Venissa