In einem Gastbeitrag für das Medienmagazin HORIZONT (erschienen am 25. September 2025) betont APA-CEO Clemens Pig die Notwendigkeit für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Medienunternehmen, um den Herausforderungen der KI-Informationsgesellschaft zu begegnen. Unter dem Begriff Modus Co-Operandi skizziert Pig im Beitrag ein Betriebssystem für das neue, kooperative Mediensystem in liberalen Demokratien als Schlüssel zur wirtschaftlichen Stabilität und zur Wahrung unabhängigen Journalismus.

 

APA-CEO Clemens Pig

 

Modus Co-Operandi – Kooperation als Zukunftsmodell

 

Der VAÖ hat vom Autor dankenswerterweise die Erlaubnis erhalten, diesen Beitrag in den VAÖ-News zu publizieren. Besten Dank dafür.

 

Autor: APA-CEO Clemens Pig

 

Modus Co-Operandi – Ein neues, kooperatives Mediensystem für die KI-Informationsgesellschaft

Die Vereinten Nationen haben 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Das UNMotto lautet: „Genossenschaften bauen eine bessere Welt.“ Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung bilden die zentrale Idee der genossenschaftlichen Rechtsform. Vereinfacht gesagt: Konkurrierende Unternehmen gründen zur Erfüllung definierter Leistungen ein Gemeinschaftsunternehmen. Das sind im Regelfall Leistungen, die für jedes einzelne Unternehmen in der Erbringung zu aufwändig, zu teuer oder zu komplex wären. Dieses kooperative Prinzip entwickelt sich in internationalen Medienmärkten gerade zum Motor und Role-Model der Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden Medienunternehmen gegenüber den Big-Tech-Plattformen in einer unübersichtlich gewordenen digitalen (Des-)Informationsgesellschaft: Weil sich Medien selbst zu einem neuen Ökosystem zusammenschließen und dabei geschickt die Mechanismen der Plattform-Ökonomie aneignen – zur eigenen wirtschaftlichen Existenzsicherung und damit zur demokratischen Zukunftssicherung des Modells „professioneller Journalismus“.

Vom Shareholder-Value zum Member-Value
Die aktuellen und laufend neuen Beispiele der Medien-Kooperation reichen von zentralen Login-Lösungen für User (OneLog in der Schweiz, MediaKey in Österreich) über branchenübergreifende Media-Literacy-Programme gegen Fake News und Desinformation für Young Audiences (Use the News in Deutschland) bis hin zum Zusammenschluss von Medien bei der Gründung eines eigenen Medien-LLM mit faktenbasierten Nachrichten (GPT-NL in den Niederlanden).

Internationale Blueprints für kooperatives Newsroom-Management sind der European Newsroom in Brüssel, der Democracy-Newsroom der G7-Staaten und der Trusted AI-Hub aller europäischen, staatlich unabhängigen Nachrichtenagenturen. Zentrales Merkmal dieser kooperativen Medien-Joint-Ventures in Europa ist die Schlüsselrolle von Nachrichtenagenturen bei Willensbildung, Organisation und operativer Durchführung. Der wesentliche Vorteil dabei: kooperativ oder genossenschaftlich organisierte Nachrichtenagenturen führen auch die stärksten Konkurrenten friedlich und gewinnbringend an einen gemeinsamen Tisch und können moderne Lösungen für Medien realisieren – ohne wettbewerbsrechtliches und finanzielles Risiko für die Teilnehmer (Mitglieder) und mit einer raschen Time-to-Market. Kooperative Unternehmen oder Genossenschaften sind Gemeinschaftsunternehmen und agieren dabei in ihrer modernen Interpretation als Digital-Cooperatives: Ihr Unternehmenswert vollzieht sich durch die erbrachten Gemeinschaftsleistungen mehr als Member-Value denn als Shareholder-Value.

 

 

Von Sozialen zu Synthetischen Medien
Der Zeitpunkt für diese Renaissance des genossenschaftlichen Prinzips in der europäischen Medienindustrie ist nachvollziehbar: Medienunternehmen stehen aus den bekannten Gründen wirtschaftlich massiv unter Druck und die Polarisierung in den sozialen Netzwerken zeigt ihre Ausläufer auch in teils deutlichen Vertrauensverlusten gegenüber professionellen Medien. Das Plattformen-Internet hat die Geschäftsmodelle der Legacy-Media aufgebrochen und zu einem Shift der Werbe-Erlöse geführt (die Stichworte lauten: the winner takes it all, cut the middleman, performance-based targeting).

Das Social-Media-Internet torpedierte die damaligen Hoffnungen eines Jürgen Habermas nach digitaler politischer Partizipation und demokratischer Teilhabe (die Stichworte lauten: Algorithmen-basierte Emotionalisierung, Polarisierung und Echokammern).

Auf die sogenannten Social-Media (diese sind weder sozial noch Medien) folgen nunmehr die Synthetic-Media: Niemand kann mehr mit Sicherheit sagen, ob Informationen human- oder AI-generiert oder ein hybrides Fabrikat sind. Dies gilt für alle Formate: Texte, Bilder, Videos. Mit Generative AI ist in der Verschmelzung mit den Social-Media schlichtweg eine neue „Medien-Gattung“ gerade eben im Entstehen: synthetische Medien. Rund um das Jahr 2015 setzte die erste Hochkonjunktur von Fake News und „alternative facts“ ein – handwerklich traditionell produziert von Menschen in Teilen der politischen PR und in „alternativen“ Medien mit wechselseitigen Rückkoppelungs- und algorithmenbasierten Verstärkereffekten.

Europa erlebte zeitverzögert nach den USA die erste große, gesamteuropäische Desinformationswelle in der Breite des digitalen Raums der Sozialen Medien mit Beginn der Corona-Pandemie – als Gegenreaktion sind eine Reihe von internationalen Fact-Checking-Operationen wie das International Fact Checking Network entstanden (bis zu Trump II noch mit starker Finanzierung der Big-Tech-Plattformen, die in Europa Ende 2025 eingestellt wird).

Der Einsatz von KI in den Sozialen Medien zur Produktion von beliebigen Inhalten in allen Formaten und die laufende dosierbare Beimengung dieser synthetischen Inhalte in die Gereiztheit der sozialen Netzwerke bildet einen „idealen“ Nährboden zur Entwicklung von autokratischen Regimen. Professionelle freie Medien und die unabhängige Justiz einer Demokratie sind immer die ersten Angriffsziele von Autokraten, gepaart mit dem Aufbau eigener Kommunikationsstrukturen und oftmals verstaatlichter Medien. Die neue Weltordnung, die in den vergangenen Monaten gerade aus europäischer Sicht entstanden ist oder in dramatischer Geschwindigkeit sichtbar wurde, fußt regelrecht auf dieser neuen Kommunikationsordnung der Sozialen und „alternativen“ Medien am Übergang zu Synthetischen Medien.

Diese neue Content-Generation der Synthetic-Media stellt wohl einen finalen Kipppunkt dar:

 

 

 

Vom dualen zum kooperativen Mediensystem
Die Handlungsfelder der Medien liegen auf dem Tisch und präsentieren sich entlang der akuten wirtschaftlichen (Existenz-Sicherung) und gesellschaftlichen (Demokratie-Sicherung) Notwendigkeiten. Die entscheidende Bruchlinie in der Beantwortung und Erfüllung dieser Notwendigkeiten hat sich bereits vor rund zwanzig Jahren grundlegend verschoben und ist nunmehr durch die Transformation von Sozialen Medien zu Synthetischen Medien endgültig und unverkennbar offen gelegt: Die zentrale Bruchlinie für ein Mediensystem eines europäischen Landes in einer liberalen Demokratie liegt nicht mehr zwischen privaten Publishern versus öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, sondern liegt zwischen national tätigen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen versus global agierenden Big-Tech-Plattformen.

Betrachtet man die Gründung von Facebook vor rund zwanzig Jahren und kurz darauf den ersten Twitter-Tweet als den Durchbruch der Sozialen Medien, dann erfolgte damit der Übergang von der uni- zur bidirektionalen Kommunikation. Für das westliche Medien- und Kommunikationssystem wurde damit die vierte Entwicklungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg eingeleitet: von Print-dominiert (1) über TVzentriert (2) zur multimedialen Angebots- und Kanalvielfalt des Internets (3) bis zur Etablierung der durchbrechenden Sozialen Medien rund um das Jahr 2005 (4). Bereits zu diesem Zeitpunkt erfolgte wohl die Grundsteinlegung für eine Verschiebung der bisherigen Bruchlinie im Mediensystem (dual) hin zu einer neuen Markierung auf der Landkarte: dem kooperativen Mediensystem als Abgrenzung aller professionellen Medien zu den Sozialen und Synthetischen Medien.

Diese Abgrenzung beinhaltet schlichtweg als essenzielle Differenzierungsleistung das Wesen von unabhängigem Journalismus (Quellen-Vielfalt, Quellen-Glaubwürdigkeit, check-recheck-doublecheck, Kritik und Aufklärung) und das Geschäftsmodell von professionellen Medien (Paid Content, Rechtssicherheit, Public Value in privatem oder öffentlich-rechtlichem Auftrag).

Mit der Entwicklung von Generative AI und der unheilvollen – weil oftmals ungeprüften und in schlechter Absicht intendierten – Verheiratung dieser Technologie mit den Produktionslogiken der Sozialen Medien entstehen eben gerade jetzt die Synthetischen Medien als neue Mediengattung und leiten damit die fünfte Phase des (politischen) Kommunikationssystems ein. Da die Begriffe Kommunikation und Medien zwar wesensverwandt, aber dennoch völlig getrennte Paar Schuhe sind, ist es nur logisch, dass die permanenten Einflüsse der neuen Kommunikationsordnung auf das Mediensystem Reaktionen hervorrufen: Das Mediensystem ist ein Ökosystem, das sich wie alle Ökosysteme entlang der Umwelteinflüsse weiterentwickelt. Aus evolutionärer Sicht findet diese Weiterentwicklung durch Anpassung an neue Gegebenheiten und durch Kooperation innerhalb des Ökosystems statt.

Neues Betriebssystem aus sich selbst heraus
Neben der notwendigen europäischen Regulatorik von globalen Plattformen in den Bereichen AI und Leistungsschutzrecht zur (Wieder-)Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit des Medien-Ökosystems benötigt das professionelle Mediensystem ein neues Betriebssystem aus sich selbst heraus. Der Modus Operandi dieses neuen Betriebssystems lautet: Kooperation. Die Idee des kooperativen Mediensystems greift eine simple Logik auf: Plattform-Technologien haben die Geschäftsmodelle und das Mediennutzungsverhalten massiv verändert und die Phänomene von (KI-)Desinformation in den digitalen Räumen der Informationsgesellschaft groß werden lassen.

Damit bedarf es neuer Technologien und Digital-Lösungen, um diesen Phänomenen entgegenzuwirken und den Userinnen und Usern neue Antworten und Werkzeuge zu geben. Diese Antworten und Werkzeuge müssen jetzt zwingend von uns Qualitäts-Medien und -Agenturen im Schulterschluss als gemeinsame „Medien-Plattform“ aufgebaut und betrieben werden: in kooperativer Eigentümerschaft, in autonomer Steuerung und Kontrolle und im

Open-Source-Angebot. Eine kurze Auswahl an Handlungsfeldern im Bereich Technologie:

 

Der Modus Co-Operandi als zukünftiges Betriebssystem für das neue, kooperative Mediensystem in liberalen Demokratien – darauf freue ich mich.

 

Quelle: https://apa.at/blog/modus-co-operandi-kooperation-als-zukunftsmodell/?sc_src=email_5569651&sc_lid=360851711&sc_uid=RgZXMGu76C&sc_llid=13687&sc_eh=be29ad60c487fb191&camp=&date=20251013T131800

 

Foto: APA, APA-Fotoservice Luwig Schedl