Der renommierte deutsche Agrar-Pressedienst Agra-Europe sprach mit den beiden Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Agrarjournalisten (VDAJ), Katrin Fischer und Michael Lohse, über Gegenwart und Zukunft des Agrarjournalismus. Auch wenn das Gespräch die Branche im Nachbarland Deutschland zum Inhalt hatte, sind die Herausforderungen und die Lösungsansätze diesseits und jenseits der deutsch-österreichischen Grenze dieselben. Agra-Europe stellt daher dankenswerterweise der VAÖ-Homepage dieses Interview kostenfrei zur Verfügung.
Hier der Text im Original-Wortlaut:
VDAJ-Vorsitzende Katrin Fischer und Dr. Michael Lohse
Wir können Zukunft
Die Vorsitzenden vom Verband Deutscher Agrarjournalisten (VDAJ), Katrin Fischer und Dr. Michael Lohse, über neue Anforderungen, alte Defizite und künftige Chancen des Agrarjournalismus
Frau Fischer, die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft und die Zahl der Beschäftigten nehmen ab. Ist der Agrarjournalismus ein schrumpfendes oder auf längere Sicht gar sterbendes Gewerbe?
Fischer: Der Agrarjournalismus wird sich wandeln und schrumpfen, aber nicht aussterben. Die Agrarbranche ist sehr traditionell und Fachmagazine werden sich die kommenden Jahre noch halten; es werden sich jedoch auch hier neue Kommunikationswege durchsetzen. Der Agrarjournalismus befindet sich in einem Veränderungsprozess vom Printmedium weg hin zu mehr Digitalprodukten. Schon heute ergeben sich für Agrarjournalisten neue Berufsfelder. Das Agribusiness sucht vermehrt Fachjournalisten für die interne und externe Kommunikation. Freie Autoren werden zunehmend unter Druck geraten, da viele Redaktionen versuchen, Kosten einzusparen und deshalb die Honorare einkürzen.
Welche Bedeutung hat der traditionelle Agrarjournalismus derzeit in Deutschland noch?
Fischer: Agrarjournalisten müssen heute als Crossmedia-Redakteure den Markt bedienen. Das heißt, die Beiträge müssen multimedial verwendet werden können. Die Spezialisierung auf ein Medium – sei es Print, Online, Social Media oder Video – ist heute nicht mehr vermarktbar. Es müssen alle Kanäle bedient werden. Allgemeine Agrarthemen wie beispielsweise Agrarpolitik, Agrarmärkte sowie „softe Themen“ werden immer seltener von Fachautoren verfasst. Der traditionelle Agrarjournalismus wird sich bei Fachthemen wie Ackerbau, Tierhaltung und Technik halten können, da hier Fachwissen benötigt wird und sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schnell verändern, so dass KI nicht immer korrekte Antworten liefern kann.
Herr Lohse, seit einigen Jahren greifen allgemeine Medien zunehmend landwirtschaftliche Themen auf. Die Bedeutung von Landwirtschaft sinkt und das außerlandwirtschaftliche Interesse an Landwirtschaft steigt. Wie ist dieser scheinbare Widerspruch zu erklären?
Lohse: Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz der Land- und Ernährungswirtschaft hat eigentlich zugenommen. Wir spüren dies kommunikativ immer in Krisen und bei Defiziten in der Praxis. Tierwohl, Biodiversität, Klimawandel sind Top-Themen, die Verbraucher und damit Medien interessieren. Märkte und Preise interessieren eher bei Problemen wie jetzt als Folge der Inflation und des Ukraine-Krieges. Die Branche sollte diese Themen offensiv aufgreifen und ihre Lösungen und Wege für eine nachhaltige und wirtschaftlich gesunde Entwicklung aufzeigen.
Was bedeutet das für die Zukunft des Agrarjournalismus?
Lohse: Er wird mehr denn je gebraucht. Agrarjournalistinnen und Agrarjournalisten werden stärker gefordert sein, sich selbstbewusst mit „ihren“ Themen in journalistische, gesellschaftliche und politische Diskussionen einzumischen. Sie haben das fachliche Wissen über die Branche und wissen, wie Kommunikation funktioniert. Veränderungen, positive wie negative, sollten von den Agrarkommunikatoren kritisch und lösungsorientiert vermittelt werden. Die rasante Zunahme von Fake-News finde ich auch aus Sicht unserer Demokratie äußerst bedenklich und gefährlich. Hier ist rechtzeitig entschiedener Widerspruch, Aufklärung und, wenn möglich, Dialog durch uns Fachjournalistinnen und Fachjournalisten angesagt.
Frau Fischer, die Landwirtschaft befindet sich seit Jahrzehnten in einem tiefgreifenden Wandel. Die Zahl der Betriebe geht weiter zurück, Landwirtinnen und Landwirte stehen vor neuen Anforderungen, wie sie produzieren und was sie produzieren. Welche Aufgaben haben Agrarjournalisten in der Transformation für den Sektor?
Fischer: Eine der wichtigsten Aufgaben wird die neutrale Aufklärung über die sich ständig wandelnden Herausforderungen sein. Die Themen sind vielfältig und reichen von agrarpolitischen Gesetzen und Vorgaben bis zu sich verändernden Agrarmärkten. Agrarjournalisten werden aber auch die Rolle von Beratern mit übernehmen müssen. Neben Fachinformationen werden zunehmend Wirtschaftlichkeitsberechnungen gefragt sein, damit Landwirte eine Einordnung vornehmen können. Hier kann ein Vergleich zur Digitalisierung gezogen werden: Was nützt es, wenn alle Daten gesammelt werden, die Auswertung mit einer Handlungsempfehlung aber nicht stattfindet.
Verträgt sich der Anspruch eines unabhängigen Agrarjournalismus mit der Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit für den Sektor?
Fischer: Warum sollen sich unabhängiger Agrarjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit ausschließen? Unabhängiger Journalismus bedeutet, dass Fakten ungeschminkt an die Öffentlichkeit weitergegeben werden, damit diese Entscheidungen gut informiert treffen kann. Wichtig ist jedoch, dass die Fakten gut recherchiert sind und der Wahrheit entsprechen. Eine Wertung durch den Journalisten darf nicht stattfinden. Nur so sind ein freier Austausch von Ideen sowie die Diskussion über Themen und alternative Ansichten möglich.
Herr Lohse, wie bewerten Sie die gegenwärtige Öffentlichkeitsarbeit der Agrarbranche?
Lohse: Sie wurde in den vergangenen Jahren vielfach personell ausgebaut und auch finanziell verstärkt. Entwickelt wurden kreative Aktionen und Dialogforen. Medien wie regionale Tageszeitungen wurden für Stories über die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern im Stall oder auf dem Acker über die gesamte Vegetationszeit gewonnen. Leider beruht die Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit meist auf Einzelaktivitäten. Eine konstante, pfiffige und nachhaltig finanzierte Kommunikation der gesamten Branche zu kontrovers diskutierten Themen fehlt leider weiterhin. Diese Erkenntnis ist auch bei Ministerium, Berufsverbänden und Agrarwirtschaft vorhanden, doch mehr als zahlreiche Ankündigungen gab es nicht. Es fehlt die Finanzierung und Umsetzung einer ganzheitlichen, gemeinsamen, langfristig angelegten Kommunikationsstrategie. Dieses Manko wird auch wirtschaftliche Folgen haben.
Frau Fischer, der Fachkräftemangel wird zu einem immer größeren Problem für unsere Volkswirtschaft. Wie steht’s um den Nachwuchs im Agrarjournalismus?
Fischer: Der Agrarjournalismus verspürt bereits heute einen Nachwuchsmangel. Das liegt zum einen an den zunehmend steigenden Ansprüchen an die Berufsanfänger, zum anderen an den Rahmenbedingungen. Das Volontariat ist nicht mehr attraktiv. Warum sollten Hochschulabsolventen nach dem Studium noch ein zweijähriges, schlecht bezahltes Volontariat durchlaufen, wenn sie in der freien Wirtschaft einen gut bezahlten Job bekommen können? Zudem werden in den Redaktionen Volontäre oftmals nicht mehr richtig ausgebildet: Recherchieren, Schreiben und Redigieren in verschiedenen Ressorts sollte Standard sein, ebenso wie Schulungen sowie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und Feedbackrunden. Das Verfassen von Nachrichten, Interviews, Reportagen und Kommentaren sowie das Erstellen von journalistischen Beiträgen aus Bild, Bewegtbild und Audio sollten in der Ausbildungszeit erlernt werden. Ebenso gehört der Umgang mit einem Redaktionssystem und juristischen Basics vom Pressegesetz über Urheberrecht bis hin zum Pressekodex dazu. Leider wird der Ausbildungsgedanke immer weiter zurückgestuft, Ausbildung passiert bestenfalls „nebenbei“. Oft müssen Volontäre schon nach kurzer Zeit die Aufgaben eines Fachredakteurs übernehmen.
Herr Lohse, was müssen Agrarjournalisten heute können?
Lohse: Wie Katrin schon sagte, die Arbeit in Fachzeitungen oder in der Öffentlichkeitsarbeit unterscheiden sich in ihren Herausforderungen. Gemeinsame Basis ist aber die Bereitschaft, sehr offen für neue kommunikative Entwicklungen zu sein und sie auch in das Arbeitskonzept einzubauen. Das erlernte Handwerk muss ständig weiterentwickelt werden. Nicht nur wegen der fachlichen Vielfalt entwickelt sich die Agrarkommunikation zum 24/7-Job. Dies sollte nicht abschrecken, sondern das Interesse an einem spannenden Beruf wecken und erhalten.
Frau Fischer, was bedeutet die weitere Entwicklung der Künstlichen Intelligenz für den Agrarjournalismus?
Fischer: KI wird auch Einfluss auf den Agrarjournalismus nehmen. Die Branche kann sich hier nicht herausnehmen. Heute lassen sich mit KI-Themen generieren und ganze Texte schreiben, was den Bedarf an Fachjournalisten reduziert. Man muss sich aber bewusst sein, dass die gelieferten Informationen einer „Prüfung“ unterzogen werden müssen. Hierfür ist wiederum Fachwissen notwendig. Werden künftig keine Fachinformationen mit Mehrwert vom Agrarjournalisten geliefert, macht er sich selbst „überflüssig“. KI führt dazu, dass sich der Medienkonsument seine Informationen schnell selbst besorgen kann. Aber auch hier gilt: Die Informationen müssen auf Plausibilität geprüft werden; will der Konsument das nicht selbst erledigen, wird er sich den Service erkaufen müssen.
Was tut der VDAJ für die Nachwuchsgewinnung im Agrarjournalismus?
Fischer: Der VDAJ öffnet sich weiter und nimmt nun auch Influencer, Blogger et cetera in den Verband auf. Das ist wichtig, denn der Agrarjournalismus muss sich multimedial aufstellen. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, dass das Berufsbild vermittelt wird. Das funktioniert am besten über die persönliche Ansprache. Hier ist ein jedes einzelne VDAJ-Mitglied gefordert. Ich persönlich nutze jede Möglichkeit, den Beruf des Agrarjournalisten „jungen Menschen“ vorzustellen. Dazu gehe ich zu Infoveranstaltungen an Hochschulen, nehme an Podiumsdiskussionen als VDAJ-Vorsitzende teil oder lade Interessenten zu VDAJ-Veranstaltungen ein, damit sie sich mit erfahrenen Kollegen austauschen können und sich ein Bild von den vielfältigen Aufgaben machen können.
Herr Lohse, der VDAJ befasst sich in seiner traditionellen Jahrestagung Ende August in Leipzig mit der Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Warum hat der Verband dieses Thema und den Standort Leipzig gewählt?
Lohse: Veränderungen sind für die Branche völlig normal. Doch mit Klimawandel, Artenrückgang, Schutz von Boden, Wasser, Luft und Tierwohl gewinnen sie für die Praxis eine neue Dimension, der man sich auch wegen der Zukunftsinvestitionen stellen muss. Am Beispiel der sächsischen Landwirtschaft und der Agrarforschung wollen wir die Pläne der Praxis und den Stand der Entwicklungen bei diesen Transformationsprozessen detaillierter erfahren. Ein selbstbewusster, kritischer Dialog zwischen Praxis und Agrarjournalisten hilft der Transformation. Die Politik ist vielfach zu eindimensional. Als Berufsverband werden wir auf dem VDAJ-Bundeskongress 2023 aber auch die Transformationen der Medien kritisch diskutieren, gerade auch der des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Welche Botschaften sollen von der Tagung ausgehen?
Lohse: Wir können Zukunft, sowohl was den Agrarjournalismus angeht als auch die landwirtschaftliche Praxis.
Frau Fischer, was ist in Zukunft die größte Herausforderung für den Agrarjournalismus?
Fischer: Der Agrarjournalismus darf die Transformation nicht „verschlafen“. Wir reden und schreiben von Landwirtschaft 4.0, hinken der Branche aber teilweise meilenweit hinterher. Mit Bedauern muss ich feststellen, dass einige Redaktionen den Trend hin zur Digitalisierung schlichtweg noch nicht umsetzen. Das fängt teilweise schon bei einer fehlenden Homepage an. In diesem Bereich sind Unternehmen im Agribusiness schon deutlich weiter: Unternehmenskommunikation wird groß geschrieben und es werden immer mehr Kanäle bedient. Unternehmen versenden nicht wie früher üblich werbliche Produktinformationen, sondern bereiten Fachinformationen gekonnt auf, da sie im Unternehmen jede Menge Spezialisten zur Verfügung haben. Der Agrarjournalismus muss es zudem schaffen, dass die Informationen nicht nur von der „Agrarbubble“ konsumiert werden, sondern dass er den Weg zur Gesellschaft findet.
Herr Lohse, in welche Richtung wird sich der VDAJ als Interessenverband von Agrarjournalisten künftig entwickeln?
Lohse: Wie gesagt, als Berufsverband haben wir mit unserem Fortbildungskonzept zu neuen Entwicklungen in der Kommunikation und verstärkter Nachwuchswerbung neue Schwerpunkte entwickelt. Dank unseres Netzwerkes wird der kollegiale Erfahrungsaustausch weiterhin für alle Mitglieder eine Hilfe im Arbeitsalltag bleiben.
Vielen Dank!
Fotos: privat/Kristoffer Finn